NANCY GROSSMANN FEMALEMAKERS SERIE SOMMELIÈREN

NANCY GROSSMANN. RESTAURANT RUTZ***. BERLIN.

Ein Portrait von Monika Ebert ©Bild ©Text.

Nancy Grossmann. Chef-Sommelière im Restaurant Rutz*** Berlin vor einem Bild von Torben Giehler.

Nancy Grossmann. Chef-Sommelière im Restaurant Rutz*** Berlin vor einem Bild von Torben Giehler.

 

Nancy Grossmann ist eine der wenigen “echten” Berlinerinnen, die ich in meinen über 30 Jahren in der Stadt kennengelernt habe. Die Chef-Sommelière des Drei-Sterne-Restaurants Rutz in Berlin wurde 2021 unter anderem vom Gault Millau für ihre exzellente Arbeit ausgezeichnet. Langjährige Erfahrung, fundierte Kompetenz, Hingabe an die Materie Wein und ein untrügliches Gespür für spannende Pairings. All das transformiert Nancy Grossmann seit 2018 in überragende Weinerlebnisse für die Gäste des Rutz, die sie mit Stil, Charme, Offenheit, Kreativität und Eleganz begleitet.

Politik + Gastronomie.

Nach dem Abitur wollte Nancy Grossmann, Jahrgang 1984, eigentlich Politikwissenschaft studieren. Während eines Praktikums kamen ihr erste Zweifel, ob aus persönlichem politischem Interesse wirklich ein Beruf werden sollte. Der Politologe, bei dem sie hospitierte, motivierte die Abiturientin, eine Ausbildung zu machen. Nancy Grossmanns erste Station in der Gastronomie war eine Patisserie in Berlin-Zehlendorf. Es folgte die Ausbildung zur Restaurantfachfrau bei Feinkost Käfer im Berliner Reichstag. Dort entdeckte die spätere Sommelière ihr Interesse für das Thema Wein. Sie erhielt erste sensorische Trainings und nahm an renommierten Branchen-Events teil. Nancy Grossmann entschloss sich, nach ihrem ersten Abschluss die IHK-Sommelier-Ausbildung an der Deutschen Weinschule Berlin zu absolvieren. Für die Aufnahme fehlte ihr noch eine zweijährige Berufstätigkeit in Weinhandel oder Gastronomie. So sammelte sie Erfahrungen an verschiedenen Stationen im europäischen Ausland, kam aber auch zwischendurch immer wieder zurück in ihren „Berliner Hafen”, wie sie das Restaurant im Reichstag nennt.

Sterne in Portugal.

Durch Zufall wurde Nancy Grossmann in dieser Zeit nach Portugal an die Algarve in ein Boutique-Hotel mit Zwei-Sterne-Restaurant vermittelt. „Das war im Nachhinein ein riesiger Schritt, ohne dass ich diese Dimension anfangs begriffen hatte. Es war alles High End dort – vom Frühstücksservice über das Menü bis hin zu Dessert, Käse und Getränken. Eine bereichernde und extrem wichtige Erfahrung in einer ganz anderen Dimension von Gastronomie … Auch diese besonderen Geschmäcker und Aromen dort haben sich tief eingeprägt”, so die Chef-Sommelière. Den Blick von der portugiesischen Terrasse vermisst sie heute noch. Die „kulinarische Erleuchtung“ geschah nicht weit von dort, auf einem Ausflug mit den Kolleg*innen in einen Ableger des weltberühmten spanischen Restaurants El Bulli in Sevilla namens „La Hacienda“. „Das war unvergesslich, in dieser Hacienda dieses grandiose Erlebnis zu haben.” Von diesem Moment an war ihre Richtung klar: Sternegastronomie.

Sommelière. Steps.

Als eine der ersten IHK-Sommelier-Absolventinnen in Berlin kam für Nancy Grossmann nach einigen Zwischenstationen das Angebot für die Nachfolge als Chef-Sommelière im ehemaligen Berliner Restaurant Reinstoff **. Doch der Antrittstermin verzögerte sich und so kam sie, wiederum eher durch einen Zufall, in den „Weinladen Schmidt“ von Anja und Carsten Schmidt nach Berlin. Das bekannte Unternehmerpaar besitzt neben den traditionsreichen Weinhandelsfilialen in Berlin unter anderem das Restaurant und die Weinbar Rutz.
Im Weinhandel vertiefte die Sommelière ihr Wissen. „Nach der Ausbildung merkt man ja erst, was man alles noch nicht weiß”, gibt Nancy Grossmann offen zu. Die Handelserfahrung war eine wichtige Station, aber die junge Sommelière merkte auch, dass ihr zwei zentrale Dimensionen ihrer früheren Arbeit in der Gastronomie fehlten: die Entwicklung und Vermittlung spezifischer Kombinationen von Wein und Speisen sowie die intensive Kommunikation mit den Gästen über einen ganzen Abend. Zudem vermisste sie im Handel die „magic moments”, wie sie es nennt, „die Kreation von einzigartigen Erlebnissen und Geschmacksexplosionen, die Geist und Körper mit positiver Energie beleben und in ihrer Essenz nicht käuflich sind.” So folgten nach ihrer Zeit im Handel zunächst zwei Jahre in der gehobenen Gastronomie in Regensburg. 2018 holten Anja und Carsten Schmidt Nancy Grossmann zurück nach Berlin in die Position der Chef-Sommelière des Restaurants Rutz, damals mit zwei Sternen ausgezeichnet. „Privat keine einfache Entscheidung, aber eine gute”, meint Nancy Grossmann.

 
 
 
 

Flüssiges im Restaurant Rutz.

Weine.

Das Grundgerüst der Weinkarte aus den Anfängen der Weinbar Rutz von 1999 folgte der Idee „tausendundein Wein”. Den Gästen wurde ein breites Spektrum erstklassiger Weine präsentiert. Im Lauf der Jahre entwickelten sich die Weinkarten Riesling-fokussiert weiter, mit unterschiedlichen Akzenten der jeweiligen Sommeliers. Nancy Grossmann liebt Riesling, wie sie selbst sagt, hat aber in ihre Weinkarte auch Portugal aufgenommen, zudem die Region Burgund mit biodynamischem Fokus aufgebaut. „Natürlich übernimmt man in einem Weinkeller auch Weine, die bereits vor Jahren gekauft wurden”. Die Rotation, das Behalten, Ausbauen, neu Akzentuieren oder auch Aussortieren im Keller und auf der Weinkarte sind Aufgaben, denen die Chef-Sommelière sehr viel Zeit und Aufmerksamkeit widmet.

 
 
 
 

Rebellen.

Auf der Weinkarte des Rutz finden sich auch „Rebellen” – besondere, exklusiv für das Rutz entstandene Weine oder Abfüllungen. Wichtig ist Nancy Grossmann bei der Auswahl der Rebellen, dass es sehr eigenständige Weine sind. Ihr erster Rebell 2018 war ein Wein von Lichtenberger/Gonzales, einem jungen österreichisch-spanischen Winzerpaar aus dem Burgenland – für die Chef-Sommelière eine Neuinterpretation des österreichischen Grünen Veltliners. 2019 hat Nancy Grossmann einen Rebellen bei Theresa Breuer, einer jungen, renommierten Winzerin aus dem Rheingau, ausgesucht. In der Regel wählt die Chef-Sommelière für ihre Rutz-Rebellen einzelne Fässer aus. Aktuell stehen einige bereits kurz vor der Abfüllung, darunter auch drei sehr spannende Weine der Familie Ziereisen/Baden, erzählt sie begeistert.

Ohne Alkohol.

Prinzipiell fällt die alkoholfreie Getränkebegleitung in den Arbeitsbereich von Sommeliers und Sommelièren. Da die hauseigene Produktion dieser non-alkoholischen Köstlichkeiten im Rutz mittlerweile umfangreiche Prozesse und komplexe Arbeitsschritte erfordert, ist der Service dafür zuständig. Diese exklusiven Kreationen werden von ihr gemeinsam mit Küchenchef Dennis Quetsch sowie Executive Küchenchef Marco Müller erarbeitet.

Pairings.

Mit Küchenchef Dennis Quetsch arbeitet Nancy Grossmann auch im Rahmen der Pairing-Entwicklung sehr eng zusammen. Basis aller Rutz-Pairings ist ein bis zu acht DIN-A4-Seiten umfassendes Briefing der Küche mit detaillierten Beschreibungen jedes einzelnen Gangs, seiner Aromen, Texturen und Herstellungsmethoden. Auf dieser Grundlage entwickelt die Chef-Sommelière ihre ersten Pairing-Ideen für eine Verkostung im Team. Bis der geplante Gang und seine Getränkebegleitung – alkoholisch wie non-alkoholisch – perfekt zusammen klingen, sind kreative, iterative Schlaufen notwendig. Stehen alle Pairings fest, wird im Anschluss ein ausführliches Team-Briefing für den Service verfasst.

 
 
 
 

Rutz. Team. Sterne.

Nancy Grossmann wollte immer in einem Team arbeiten, das sich weiterentwickeln möchte. Im Restaurant Rutz fühlte sich das für sie passend an. „Im Rutz sind wir lieber so ein bisschen Understatement und das gefällt mir persönlich sehr gut ... In den letzten drei Jahren hat das Team des Rutz sehr viel erreicht und ist zudem enorm gewachsen. Der Teamspirit stimmt hier. Und alle wussten und wissen, wofür sie ihr Herzblut einsetzen und viele extra Stunden, Tage und Nächte arbeiten. Der dritte Stern war für alle die verdiente Anerkennung und eine tolle Bestätigung.” Und da das gesamte Team zudem sehr Wein-interessiert ist, werden ihre Weinbegleitungen hier mit großer Begeisterung präsentiert.

 
 
 
 

Sommelière. Sein.

Zu den wichtigsten Eigenschaften einer Sommelière zählen für Nancy Grossmann: „Richtig gut zuhören können, aufmerksam sein. Man muss in der Lage sein, auch Menschen und Stimmungen aufzunehmen, muss in kürzester Zeit erkennen, was die Gäste eigentlich möchten … Man muss sich schnell anpassen können und flexibel sein. Eine breite Spanne bedienen können. Das wiederum sehr individuell zu tun und sich selbst trotzdem insofern gerecht zu werden, dass man das, wovon man überzeugt ist, auch vertritt. ... Das Wichtigste ist, dass man sich darauf fokussiert, was man wirklich gerne macht und was einem Spaß macht. In den Sachen ist man dann auch richtig gut.”

 
 
 
 

Wein ist Inspiration.

So lautet das Credo der Chef-Sommelière, in dem sich ihre Weinpassion exakt widerspiegelt. Im Normalfall ist sie mindestens zweimal im Monat unterwegs, lässt sich inspirieren bei Winzer*innen, auf Veranstaltungen und Verkostungen, erkundet spezifische Weinbaugebiete und Weine. Das alles findet meist in ihrer Freizeit statt – sonntags und montags, oder an den Urlaubstagen. Wäre Wein für sie keine Passion, die sich nahtlos im Privatleben fortsetzt, wäre das alles nicht zu leisten, so die Chef-Sommelière. „Das Schöne ist, dass das Lernen beim Wein nie aufhört.” Nancy Grossmann hat „große Ehrfurcht”, wie sie sagt, vor Wissen und Erfahrung von Kolleg*innen, die bereits seit 20, 30, 40 Jahren als Sommelièren und Sommeliers im Business sind. Ihr eigenes Weinwissen und ihre Erfahrungen inklusive aller Verkostungsnotizen dokumentiert die Chef-Sommelière seit 10 Jahren “old-school” – handschriftlich in Notizbüchern. Natürlich wünscht sie sich manchmal, sie hätte alle Weine, die sie bisher verkostet hat, komplett digitalisiert und jederzeit abrufbar. Andererseits unterstützt die sinnliche Tätigkeit des Schreibens die Merkleistung und verringert ihre stetig wachsende Zeit im digitalen Raum. Ihren privaten Weinkeller schätzt die Chef-Sommelière auf circa 100 Flaschen, und zum Inhalt befragt, meint sie: „Es gibt Flaschen, die einen lange begleiten und auf die man gut aufpasst.“

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Wein. Weiblich. Business. Zukunft.

Den Wendepunkt hin zu mehr Frauen in der immer noch männlich geprägten Weinwelt sieht Nancy Grossmann langsam erreicht. “Betrachtet man die Sommelier-Listen der Top-Restaurants, hat sich da einiges bewegt und es finden sich bei den sehr gut bewerteten Restaurants mittlerweile fast mehr weibliche als männliche Namen”, so die Chef-Sommelière. Der Startschuss liegt ihrer Ansicht nach weit zurück in der Auszeichnung von Paula Bosch, der renommierten Weinexpertin und früheren Sommelière berühmter Restaurants wie dem Victorian in Düsseldorf und dem Tantris in München. Paula Bosch wurde bereits 1988 als erste Person überhaupt durch den Gault Millau zur Sommelière des Jahres gekürt. Aber trotz des Zuwachses an weiblichen Führungskräften in der Weinwelt meint Nancy Grossmann: „Eine Frau muss leider immer noch mehr leisten als Männer. Immer noch mehr machen, früher kommen, länger bleiben, das ist immer noch so.“ Auch wenn das Weinbusiness nach außen oft sehr „nett“ erscheint, ist es nicht immer einfach. Die Chef-Sommelière legt Wert auf ihre professionelle Distanz, was für sie unter anderem bedeutet, nicht zu jedem Wein sofort eine Meinung zu äußern und Respekt vor der Leistung der Winzer*innen zu bewahren.

Ihre zahlreichen Auszeichnungen der letzten Zeit kamen sehr schnell, dann folgten die Lockdowns. Jetzt möchte die Chef-Sommelière zunächst den positiven Schub dieser Anerkennungen wieder in ihren Beruf einbringen. Alles Weitere lässt sie einfach auf sich zukommen. Und in 10 Jahren? Da möchte sie noch gesund sein und vor allem wünscht sie sich, dass Wein weiterhin ihre Inspiration bleibt. Das wünscht ihr #FEMALEMAKERSDOTNET natürlich auch.

INSTAGRAM @nenzion
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HANDCRAFTED RUTZ MENUES BY Anja Kubale. Instagram @kartenunikat.
ALL PAINTINGS IN THE BACKGROUND BY Torben Giehler Instagram @torbengiehlerstudio.


FEMALEMAKERSDOTNET: Restaurant Rutz Berlin. Stairways to heaven.

 
 
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